Sechstagekrieg 1967: Israels Triumph und die fatalen Folgen (2024)

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Für Amos Oz waren es die Jahre der faden Zahnpasta und der stumpfen Rasierklingen Marke Okava, der billigen Sardinen und der Lebensmittelrationierung. Alles war "trist, trübsinnig, klamm, geizig und kleinlich".

Es war die Zeit des geteilten Jerusalem. 19 Jahre lang, von 1949 bis 1967, zog sich ein Todesstreifen mitten durch Jerusalem. Die eine Seite von Mauer und Stacheldraht war israelisches Gebiet, auf der anderen lagen jordanische Soldaten mit den Gewehren im Anschlag. Manchmal schossen sie. Joni, den zwölfjährigen Nachbarsjungen, trafen sie mitten in die Stirn. Oz, später einer der berühmtesten israelischen Schriftsteller, hieß damals noch Amos Klausner und wuchs als Sohn osteuropäischer Eltern, die vor den Nazis geflüchtet waren, im Jerusalemer Viertel Kerem Avraham auf.

Israels Bevölkerung, bei der Staatsgründung 1948 gerade mal 800.000 Menschen, hatte sich inzwischen verdreifacht, doch die Euphorie der Unabhängigkeit war längst verflogen. 1966 herrschte die Krise: Die Wirtschaft war in die Rezession gerutscht, viele Israelis wurden arbeitslos. Hinzu kamen wachsende innere Konflikte. Die orientalischen Juden, die Mizrachim, sahen sich krass benachteiligt, sie litten unter den Ressentiments der europäischstämmigen Elite und lebten vielfach unter elenden Bedingungen in Entwicklungsstädten im Süden.

Sechstagekrieg 1967: Israels Triumph und die fatalen Folgen (1)

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Sechstagekrieg 1967: Der Sieg, der keiner war

Foto: Terry Fincher/ Getty Images

War dies das Leben in Würde und Freiheit, das Israels Gründungsväter ihren Bürgern versprochen hatten? Zehntausende wanderten wieder aus. Kämpfer der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO sickerten aus Syrien und Jordanien nach Israel ein und verübten Anschläge auf Bahnlinien, Straßen und Kraftwerke; sie töteten und verwundeten Israelis.

Das alles muss man wissen, um zu verstehen, in welcher Verfassung Israel in den Krieg 1967 schlitterte. Oder sollte man sagen: sprang? Seit Wochen drohte Ägyptens Staatspräsident Nasser mit der Vernichtung des jüdischen Staates. Am 22. Mai sperrte er die Straße von Tiran für die israelische Schifffahrt, für Israel eine Kriegserklärung. Die arabischen Armeen konzentrierten ihre Truppen an den Grenzen zu Israel.

Plötzlich war das Land dreimal so groß

Den Krieg jedoch begann Israel - mit einem sogenannten Präventivschlag, mit einer Überraschungsattacke, die in die Militärgeschichte eingehen sollte: Die ägyptischen Piloten saßen am 5. Juni 1967 noch beim Frühstück, als Israel die erste Angriffswelle flog. Binnen drei Stunden war fast die komplette ägyptische Luftwaffe vernichtet, auch die Luftwaffe der Syrer und Jordanier wurde weitgehend zerstört. Jordanische Artillerie griff später Vororte Tel Avivs und Westjerusalem an.

In den folgenden Tagen eroberten israelische Truppen den Sinai, den Gazastreifen, das von Jordanien besetzte Westjordanland und die Golanhöhen sowie Ostjerusalem. Israelische Fallschirmjäger sprengten sich einen Zugang zur Altstadt und standen erstmals seit 1949 wieder an der Klagemauer.

Die Israelis fühlten einen unbändigen Stolz darauf, sich selbst aus der Gefahr befreit zu haben. Die Engländer wollten nicht helfen, und Frankreichs Präsident Charles de Gaulle verhängte nach Kriegsbeginn sogar ein Waffenembargo; für das "kleine Land mit einer unglücklichen Geschichte" wollte er sein gutes Verhältnis zur arabischen Welt nicht riskieren. "In sechs Gefechtstagen", sagte Außenminister Abba Eban in der Knesset, "wurde ein neuer Staat Israel geschaffen." Tatsächlich war das Land plötzlich dreimal so groß. Lebten die Israelis zuvor noch in Angst vor totaler Vernichtung, strotzten sie nun vor Kraft.

Sechstagekrieg 1967: Israels Triumph und die fatalen Folgen (2)

Es ist dieser Triumph, der sich in Israels Gedächtnis eingebrannt hat. Es ist dieser Krieg, der das Land bis heute prägt wie kein zweites Ereignis in seiner Geschichte.

Sicher, es gibt andere große Daten. November 1947: Die Uno-Vollversammlung stimmte für die Teilung Palästinas und machte so den Weg frei für den jüdischen Staat. Mai 1948: die Staatsgründung, auf die der bittere Unabhängigkeitskrieg folgte. 1973: der Jom-Kippur-Krieg mit dem Überfall durch die Araber am höchsten jüdischen Feiertag, ein Trauma für Israel. November 1977: der Tag, als der ägyptische Präsident Anwar el-Sadat nach Jerusalem kam, als erster arabischer Staatschef erkannte er das Existenzrecht Israels an.

Doch die Folgen von 1967 sind es, die Israels Gegenwart bestimmen - und über seine Zukunft entscheiden. Denn damals wurde Israel zur Besatzungsmacht über eine Million Palästinenser, herrschte über ihren Alltag, ihre Lebensperspektive. Der unter Blut und Tränen geborene, umstrittene jüdische Staat war noch keine 20 Jahre alt, da unterwarf er ein anderes Volk seiner Kontrolle. Verteidigungsminister Moshe Dayan sah die Herrschaft über die besetzten Gebiete so: eine "großartige Gelegenheit, das Leben mit den Arabern zu bestimmen und zu gestalten".

Taumel nationaler Begeisterung

"Israels zweite Geburt" nennt Historiker Tom Segev den Sechstagekrieg in seinem großen, lesenswerten Buch über 1967. "Das Untergangsgefühl verschwand, nun konnte die Geschichte von Neuem beginnen." Ein ganzes Land fiel in den Taumel nationaler Begeisterung.

Wie Touristen unternahmen die Israelis fortan Ausflüge in die besetzten Gebiete, selbst bei Säkularen erwachten plötzlich religiöse Gefühle für die Orte der Bibel. An der Klagemauer heulten selbst Soldaten hemmungslos. War der Sieg nicht ein Fingerzeig Gottes, dass ihnen das Gelobte Land gehöre? Erst 1967 machte die Religion zum zentralen Element der israelischen Identität, sagt der israelische Autor Yossi Klein-Halevi.

Staatsgründer David Ben-Gurion, damals längst im Ruhestand in seinem Kibbuz in der Negev-Wüste, behauptete zwar noch 1968, er würde ein kleines Israel mit Frieden einem Groß-Israel ohne Frieden vorziehen. Doch als zwei junge Reporter ihn nach dem historischen Recht der Zionisten fragten, antwortete er: Das Land Israel gehöre ausschließlich dem jüdischen Volk, die Araber hätten auch Rechte im Land, aber es gehöre ihnen nicht.

Im Siegesrausch begann Israel, verhängnisvolle Fehler zu machen. Die Hardliner, die "Falken", übertönten alle Mahnungen der "Tauben", die Annexion des Westjordanlandes mache Israel zu einem binationalen Staat, und die Juden seien bald in der Minderheit. "Dann sind wir mit der ganzen zionistischen Unternehmung am Ende", sagte Justizminister Yaakov Shimshon Shapira.

Premierminister Levi Eshkol, den die Generäle ohnehin für ein Weichei hielten, erklärte noch im Herbst 1968: "Wir werden einige Steine und Felsen nicht den Weg zum Frieden stören lassen." Kurz darauf brach er mit einem Herzinfarkt zusammen und starb Anfang 1969. Seine Nachfolgerin Golda Meir dachte nicht an die Rückgabe der Gebiete, sie leugnete sogar die Existenz eines palästinensischen Volkes: "Sie sind Araber wie alle anderen Araber."

Jener furchtbare Sommer

Der rasche Sieg legte den Keim für ein fragwürdiges Auftreten: "Vom ersten Tag an verhielten sich viele israelische Soldaten wie Besatzungstruppen und demütigten die unterlegenen Palästinenser", schrieb später der Journalist Ari Rath, der als Jugendlicher vor den Nazis in Wien geflohen war und am Krieg als Oberfeldwebel eines Infanterieregimentes teilnahm. Der bekannte Journalist und Besatzungskritiker Gideon Levy spricht vom "furchtbaren Sommer" 1967, "in dem wir einen Krieg gewannen und sonst fast alles verloren".

Dabei hätten gerade die Eroberungen den Frieden bringen können. Die Gebiete galten als Faustpfand für eine Aussöhnung mit den arabischen Nachbarn - Land gegen Frieden. Bloß wollten die Araber erst mal keinen Frieden. Auf der Konferenz von Khartum im September 1967 beschloss die Arabische Liga die drei fatalen Neins: keine Anerkennung Israels, keine Verhandlungen, kein Frieden.

So entstand die Ausrede, auf die Israel sich bis heute zurückzieht: Solange die andere Seite nicht will, brauchen wir ja nichts herzugeben. Und so begann der Bau der inzwischen mehr als 130 Siedlungen. Manche sind zu richtigen Städten gewachsen, etwa Modi'in Illit mit 60.000 Einwohnern oder Ma'ale Adumim am Rand von Jerusalem mit 37.000 Einwohnern. Sie stehen mehr denn je einer Einigung mit den Palästinensern im Weg. Die USA, Israels wichtigster Verbündeter, ließen den Siedlungsbau über all die Jahre zu.

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Die internationale Gemeinschaft ist mitverantwortlich für die heikle Entwicklung. Mit der Resolution 242 vom 22. November 1967 forderte der Uno-Sicherheitsrat zwar den Rückzug vom eroberten Territorium. Aber in der englischen Originalfassung heißt es nur unbestimmt: "aus Gebieten", nicht "den" oder "allen" Gebieten. Seitdem wogt der diplomatische Streit um die Auslegung. Auch eine Frist ist nicht gesetzt.

Nur bei Ägypten griff die Formel Land gegen Frieden. Nachdem beide Länder 1979 Frieden geschlossen hatten, räumte Israel im Frühjahr 1982 die im Sechstagekrieg eroberte Sinai-Halbinsel und gab sie an Ägypten zurück.

Auch der Friedensprozess mit den Palästinensern, der 1993 mit dem Oslo-Abkommen begann, gründete auf der Rückgabe von Land. Doch bisher verfügen die Palästinenser nur über den Gazastreifen und knapp 40 Prozent der Westbank, und das in Teilen eingeschränkt, weil Israel dort die Sicherheitshoheit behalten hat. Das von Siedlungen zerstückelte Gebiet erlaubt kein lebensfähiges Staatswesen.

Israel unterhöhlt seine Demokratie

Oslo 1993 konnte nie Strahlkraft entwickeln, weil der Prozess auf halber Strecke starb. Das Datum wurde weggewischt vom Terror zweier Intifadas und der harten israelischen Vergeltung.

Die rechtsnationale Regierung von Benjamin Netanyahu will das Jubiläum des Sechstagekrieges nun als "Befreiung" der eroberten Gebiete und "Wiedervereinigung" Jerusalems feiern, eine Provokation für die Palästinenser. Eine zentrale Zeremonie soll in Kfar Etzion stattfinden, der ersten Siedlung im damals eroberten Westjordanland. Allein dafür hat die Regierung zehn Millionen Schekel freigegeben, etwa 2,5 Millionen Euro.

Friedensaktivisten sind empört. Er verstehe überhaupt nicht, was es da zu feiern gebe, sagt Avi Buskali, Sprecher von Peace Now: "Im 50. Jahr sollten wir endlich einen diplomatischen Prozess mit den Palästinensern anführen und die Okkupation beenden." Rund 15.000 Israelis demonstrierten Ende Mai in Tel Aviv für eine friedliche Konfliktlösung, ihr Motto: "Zwei Staaten - eine Hoffnung".

Sie wissen, es geht um Israels Existenz - und die eigentliche Bedrohung kommt von innen. Je länger Israel die Schaffung eines Palästinenserstaates verhindert, desto wahrscheinlicher wird ein gemeinsamer, binationaler Staat. Dann müsste Israel rund 4,8 Millionen Palästinenser einbürgern. Da dort bereits 1,8 Millionen Araber mit israelischem Pass leben, ginge die jüdische Mehrheit im Staat bei derzeit rund 6,4 Millionen jüdischen Israelis absehbar verloren. Und je länger die Unterdrückung in den besetzten Gebieten andauert, desto stärker unterhöhlt Israel seine Demokratie, auf die es so stolz ist. Auch international gerät Israel stärker unter Druck.

Kein Militär, das ist die Lehre aus 1967, kann Israel besiegen, und auch kein Terror. Es kann sich bloß selbst besiegen.

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